Reinhold Engberding „Viel-Liebe-Spiegel/Mandorla“, 1999
„Viel-Liebe-Spiegel/Mandorla“ ist ein Objekt und ein Sprachspiel. In der Wahrnehmung verbinden sich beide. Aus einer schwarzen gehäkelten Mandelform kommen Spiegelglaskugeln zum Vorschein. Es scheint, als würden diese durch die Öffnungen im Gewebe gedrückt ans Licht kommen.
Auf den ersten Blick geht es um den Gegensatz zwischen zwei Materialien und ihre Qualitäten, auf den zweiten um das Eindringen oder Ausstoßen von Fremdkörpern. Der Kunsthistoriker, der dieser Wahrnehmung dann die Bemerkung hinterherschiebt, dass die Mandel ikonografisch oft auch sexuell konnotiert ist, trägt zum rein visuellen Spiel von Hülle, Eindringen, Haut, Öffnung, Ausscheiden nichts Entscheidendes mehr bei. Er bestätigt aber, dass es – meist auf körperliche Erfahrungen bezogene – visuelle Codes gibt, die über große kulturelle Entfernungen hinweg Bedeutung haben.
Reinhold Engberding häkelt. Damit nutzt er ein Material, dass traditionell eher weiblichen Kollegen zugedacht wird. Aber Material und Mandorla haben hier heute Bedeutung, weil aufmerksame Betrachter genau sehen, dass eine glatte Kugel eine Öffnung im Gewebe soweit aufdehnt, dass Druck und Spannung aufgebaut werden und irgendwann eine Form der Entspannung folgen könnte. Ein Schelm, wer dabei an anderes denkt. Und sich dann in den Kugeln gespiegelt sieht.
Dr. Arie Hartog in: „entgrenzt“. Kunst in der Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Bd. 02, Kiel 2014, S. 30