Eröffnungsreden

Dr. Arie Hartog, Gerhard-Marcks-Haus, Bremen, zur Eröffnung der Ausstellung „Strich und Faden“ (mit Peter N. Heikenwälder), Galerie Kramer, Bremen, 2015

Photo Ingo Wagner, Bremen

Meine Damen und Herren,
Man hat schon so viele Doppelausstellungen von einem Maler und einem Bildhauer gesehen und auch eröffnen dürfen, dass man eine gewisse grundsätzliche Skepsis entwickelt. Denn es geht (fast) immer, aber ist es immer gut? Und warum klappt es (fast) immer und ist es manchmal gut? Also reden wir, Gott bewahr, über Qualitäten. 

Die Argumentation verläuft etwa wie folgt: Die beiden Medien sind höchst unterschiedlich, woraus bekanntlich schon im 16 Jahrhundert der sogenannte Paragone entwickelte, eine Diskussion darüber, welches Medium denn besser sei: die Bildhauerei oder die Malerei und die Kunsthistoriker wissen, dass fast alles was wir heute an Kriterien benutzen – auch wenn es um die Beurteilung von zeitgenössischer Kunst geht – aus dem Paragone stammt. Ich nenne nur die Vorstellung, dass man in egal was – wenn es Kunst ist – eine Idee sieht. Das nennt man heute Konzept ist aber Disegno. 

Der Gegensatz zwischen den Medien hat hier heute Bedeutung, weil beide Künstler sehr offensiv mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Räumlichkeit arbeiten: Peter Nikolaus Heikenwälder mit dem Bild als Fenster, dass den Blick in eine Tiefe zieht, in dem sich dann aber umgekehrt – manchmal sehr abrupt – Formen nach vorne drängen oder sich sogar wie der kleine Orange strich innerhalb einer imaginären Räumlichkeit nach vorne katapultieren. Und Reinhold Engberding umgekehrt mit dem Objekt, dass sich umgekehrt zum Fenster in den Raum hinein bewegt. Und so ist die Fläche eine erste Trennlinie, aber die Gefahr ist dann, dass man defizitär argumentiert. Der Maler kann das und das nicht, der Bildhauer bekommt das und das nicht hin.

Das Problem liegt darin, dass in der Fenstermetapher letztendlich die Idee enthalten ist, als wäre der Raum des Malers der gleiche wie der Raum des Bildhauers. Die theoretische Diskussion führt – und das passt heute natürlich sehr gut – in die späten 1920er Jahre nach Hamburg, als der Philosoph Ernst Cassirer die Idee artikulierte, dass der Raum nicht wie es bei Kant wie so schön heißt “ empirische Realität und transzendentale Idealität” besitzt, sondern von Beziehungen bestimmt wird. Von Beziehungen, die sich (im jeweiligen symbolischen System) als Raum zeigen. Cassirer ist derjenige, der den Beweis erbracht hat, dass es die vielen Räume gibt und das ist aus zwei Gründen interessant. Erstens beruft er sich auf einen Bildhauer, Adolf von Hildebrand, zweitens legt er, jedenfalls so lese ich seinen Text, eine Verbindung zwischen wahrgenommenem Raum (den es in unterschiedlicher Ausprägung geben kann) und Form. Und schon sind wir bei der Kunst. Form definiere ich als eine nachvollziehbare Ordnung in einem Werk, die auf den Künstler verweist und genau in dieser Ordnung entsteht also eine alternative Räumlichkeit. Das ist so einfach und gleichzeitig so eminent wichtig. 

Es heißt im nächsten Schritt, dass ein Objekt oder ein Bild Teil unseres alltäglichen Räumes bleibt, außer wenn es durch eine bestimmte nachvollziehbare Ordnung eine alternative nachvollziehbare Räumlichkeit kreiert. Nichts gegen Kunstwerke, die das nicht wollen, aber mit einer solchen Begrifflichkeit haben wir das Instrumentarium, um über die Kunst von Reinhold Engberding und Peter Nikolaus Heikenwälder zu sprechen. Und wenn man dann in die Bilder aber auch auf die Zeichnungen von Heikenwälder schaut (schon in der Beschreibung ist Räumlichkeit enthalten), entdeckt man, dass man tatsächlich relative räumliche Zusammenhänge wahrnimmt. Und dass was man sieht sehr oft changiert – und – dass das immer mit Sachen im Bild zu tun hat, die man tatsächlich sieht, ohne hier jetzt behaupten zu wollen, dass sie da sind. Eine besondere Qualität dieser Malerei ist nämlich, dass man merkt, dass man wahrnimmt, oder besser, dass man sich davon bewusst wird und merkt, wie das Gesehene zu zusammenhängenden (prägnanten) Formen wird, woraus sich dann wieder Räumlichkeit ergibt. Die also ebenfalls changieren kann. 

Heikenwälders Zeichnungen, darauf zielte auch der Gebrauch einer anderen Präposition, besitzen eine andere Räumlichkeit, die sich viel mehr in den Vordergrund drängt, diese dann aber mit kleinen Strichen und Farbakzenten wiederum differenziert. Und dann geht es darum, dass der Betrachter diese relationale, im Bild durch Setzung konstruierte Räumlichkeit als Qualität des jeweiligen Bildes – als Welt für sich – wahrnimmt. Denn auch darum ist die Metapher des Fensters falsch: man schaut jeweils in eine ganz andere Welt auch wenn die Fenster nebeneinander liegen. 

Auf den ersten Blick mag es dann erscheinen als könne Engberding nicht mit dieser Bandbreite an Räumlichkeit konkurrieren – und im engeren Sinne ist das wohl auch so, aber die einzelnen Objekte entwickeln aus ihrem Medium und den damit zusammenhängenden Qualitäten heraus ihre Räumlichkeit. Dabei geht es darum, ein Gespür für diese andere Räumlichkeit zu bekommen. Sie kennen das: Während das Gemälde perspektivisch eine Sogwirkung entwickelt, entwickelt eine Plastik, die mehr als ein Ding ist, umgekehrt Streuung in den Raum hinein. In diesem Fall über konvexe und spitze Formen, die in den Raum drängen aber vor allem auch über die Logik innerhalb der Komposition und den Richtungen der Volumen.      

Reinhold Engeberding erzählte mir am Dienstag, die Wand links sei seine Lieblingswand und da sieht es tatsächlich kurz aus, als gebe es zwischen den Künstlern mit ihren eher düsteren Arbeiten eine gewisse Ähnlichkeit, was sich dann beim Betrachten in eine Unzahl von Differenzen aufbricht. Apropos Cassirer, von diesem Philosophen, der Deutschland 1933 verlassen musste, kann man immer noch sehr viel lernen. Ebenfalls Ende der 1920er Jahre artikulierte er die Idee der Ausdruckswahrnehmung. Vor irgendeiner Form der Dingwahrnehmung oder dann Analyse findet die Ausdruckswahrnehmung statt. Das ist da, wo, wie es dann so schön heißt, im Sinnlichen ein Sinn aufscheint, der natürlich atmosphärischer Natur ist, was aber das Verhalten des Wahrnehmenden grundsätzlich bestimmt. Das ist hier so wichtig, weil es Ihnen allen aufgefallen sein muss, dass beide Künstler zwar mit der Farbe schwarz, nicht aber mit dem negativen düsteren arbeiten. 

Lieber Peter Nikolaus Heikenwälder, da ich Reinhold Engberding schon ziemlich lange kenne, wird er mir verzeihen, wenn ich sage, dass Ihr Werk mit dem beschriebenen Zusammenspiel von Form und Räumlichkeit für mich die Entdeckung dieser Ausstellung ist. Lieber Reinhold, was mir in dieser Zusammenstellung aufgefallen ist, wie sehr Dein Werk inzwischen Leichtigkeit und Souveränität verbindet. Eure Werke ergänzen sich, (kitzeln sich gegenseitig) und sind echt eine Lust fürs Auge. Liebe Frau Kramer, das was also eine echt gute Idee, die beiden Hamburger hier zu präsentieren. Ich wünsche der Ausstellung viel Erfolg und Ihnen meine Damen und Herren viel Spaß bei der Wahrnehmung.